Erinnerungstafel Lager Liebenau

11.09.2020

Nach über 75 Jahren nach Ende des Zweiten Weltkrieges erinnert nun im Zuge der Neugestaltung des Grünangers in Graz eine Gedenktafel mit digitalem Rundgang an die in Liebenau verübten Gräueltaten des NS-Regimes. Diese wurde gemeinsam mit einem eigens gestalteten Film am 11. September 2020 der Öffentlichkeit präsentiert und ist ein weiterer, wichtiger Beitrag wider das Vergessen in Graz. Der digitale Rundgang kann über eine App vor Ort oder auf https://www.culturalplaces.com/de/tour/lager-tour besucht werden.

Erinnerung an Verbrechen aufrechterhalten

Kulturlandesrat Christopher Drexler: „Es ist geradezu unsere Pflicht, die Gräueltaten, die in unserer eigenen Umgebung gesetzt wurden, aufzuarbeiten und die mahnenden Erinnerungen an die Verbrechen aufrechtzuerhalten. Die Erinnerungstafel zum Lager Liebenau ist ein Zeichen der Konfrontation und Auseinandersetzung mit der Geschichte unserer Heimat. Kunst und Kultur sind dabei wichtige Übersetzungsmöglichkeiten und Instrumente, um die Erinnerungskultur zu reflektieren, zu transportieren und im kollektiven Gedächtnis zu verankern. Denn Freiheit, Friede und Menschenrechte sind alles andere als eine Selbstverständlichkeit.“

Das Lager Liebenau, das größte Zwangsarbeiterlager in Graz, wurde 1940 als Umsiedlerlager gegründet. Im April 1945 war der Komplex eine Zwischenstation ungarischer Jüdinnen und Juden auf ihren Evakuierungsmärschen ins KZ Mauthausen. Mindestens 34 Personen wurden hier erschossen. Nach dem Prozess vor einem britischen Militärgericht 1947, bei dem wegen Kriegsverbrechen zwei Todesurteile ausgesprochen wurden, wuchs – im wahrsten Sinne des Wortes – Gras über dieses dunkle Kapitel der Grazer Zeitgeschichte. In den letzten Jahren ist ein gesteigertes Interesse am Lager Liebenau zu beobachten.

Kulturstadtrat Dr. Günter Riegler: „Als Grazer Bürger und Stadtrat ist es für mich immer wieder erschreckend, in welcher Dimension Gräueltaten auch in unserer, heute so vielfältigen und friedfertigen Stadt während der NS-Zeit verübt wurden. Daher ist die Umsetzung der Gedenktafel und des digitalen Rundgangs, welcher es ermöglicht, das Ausmaß jenes Grauens zu erfassen, für mich eine Herzensangelegenheit und ich bin davon überzeugt, dass diese in Zukunft maßgeblich zu der Erinnerungskultur in unserer Stadt beitragen werden.“

Im Rahmen der Vorarbeiten für das Murkraftwerk Graz haben die Energie Steiermark und die Stadt Graz im Jahr 2011 eine umfassende wissenschaftliche Aufarbeitung zum Lager Liebenau in Auftrag gegeben.

Der sensible und respektvolle Umgang mit historischen Ereignissen ist der Energie Steiermark wichtig. Die Ergebnisse dieser ersten aufsehenerregenden Publikation wurden durch Medienberichte, zivilgesellschaftliches Engagement – u.a. jenes des Grazer Mediziners Rainer Possert -, archäologische Untersuchungen und weitere Forschungsarbeiten begleitet. Bei der Umsetzung des Murkraftwerkes und der Ufergestaltung wurden die Erkenntnisse der Forschung mit größtmöglicher Sensibilität berücksichtigt. Für uns als steirisches Leitunternehmen ist die finanzielle Unterstützung zur Errichtung des Mahnmales im Gedenken an die Opfer daher ein wichtiges Zeichen wider das Vergessen“, so Mag. (FH) Urs Harnik-Lauris, Konzernsprecher der Energie Steiermark.
Inzwischen ist das ehemalige Lagerareal als Bodenfundstätte deklariert. Offen ist die Frage, ob noch Opfer unter der Erde liegen.

Barbara Stelzl-Marx, Leiterin des Ludwig Boltzmann Instituts für Kriegsfolgenforschung und Professorin für Zeitgeschichte an der Uni Graz leitete das Projekt: „Wie das Vergessen verhindert werden kann, ist eine Diskussion, der sich jede Generation erneut stellen muss. Die Erinnerungstafel mit digitalem Rundgang ist ein wichtiges Zeichen am ehemaligen Lager Liebenau, das zur Auseinandersetzung mit diesem dunklen Kapitel der Grazer Zeitgeschichte einlädt. Die lange verdrängten Spuren des Holocaust vor unserer Haustür werden somit sichtbar gemacht.“

Für mehrere Aspekte der menschenverachtenden NS-Ideologie und des Umgangs mit ihrem Erbe ist das Lager Liebenau ein Sinnbild. Das Areal wird ein Ort verdichteter Geschichte:

Verführt: das Lager als Ort der „Volksgemeinschaft“
Verschleppt: das Lager als Ort der Zwangsarbeit
Vernichtet: das Lager als Tatort der Endphaseverbrechen
Verurteilt: das Lager als Tatort gesühnter NS-Verbrechen
Vergessen: das Lager als Ort verdrängten Unrechts

Quelle graz.at


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