Heute vor 20 Jahren, am 8. Februar 2001, hat der Grazer Gemeinderat einstimmig beschlossen, Europas erste „Menschenrechtsstadt“ zu werden. Bürgermeister Siegfried Nagl erinnert an diesem Jahrestag daran, dass die konkrete und lokale Realisierung der Menschenrechte vor allem als Prozess verstanden und gelebt werden muss:
Menschenrechtsstadt zu sein ist eine besondere Verpflichtung, nicht nice to have, sondern eine ständige Aufgabe für Politik, Verwaltung und Zivilgesellschaft. Die Verwirklichung von Menschenrechten ist eine ständige Vorwärtsbewegung.
Schritte zur Menschenrechtsstadt Graz
Graz, so Nagl, konnte sich mit vielen zielgerichteten Schritten wie dem Beitritt zur Europäischen Städtekoalition gegen Rassismus (2006), der Konstituierung eines Menschenrechtsbeirats (2007), der Einrichtung einer Antidiskriminierungsstelle gemeinsam mit dem Land Steiermark (2012), der „Grazer Erklärung zum interreligiösen Dialog“ (2013) oder zuletzt der Gründung des „UNESCO-Zentrums für Menschenrechte in Gemeinden und Regionen“ (2020) als Vorreiter unter den Menschenrechtsstädten positionieren. Inhaltliche Schwerpunkte dieses Zentrums sind Bildung für Romakinder in Südosteuropa (Plovdiv), Menschenrechtstrainings für Städte in Afrika in Zusammenarbeit mit der Afrikanischen Verwaltungsakademie sowie ein Toolkit für „Inclusive Cities“ in der arabischen Welt. Das Zentrum erfüllt somit die politisch immer präsente Forderung nach Hilfe vor Ort, insbesondere in Krisengebieten, und ist somit auch eine präventive Maßnahme gegen den wachsenden Migrationsdruck. Menschen wird vor Ort geholfen, in menschenrechtskonformen Städten und Regionen zu leben. „Nur wer vor Ort hilft, hilft nachhaltig,“ so Bürgermeister Nagl.
Rolle der Städte für Verwirklichung der Menschenrechte
Dieses in seiner Art weltweit einzige „Trainingszentrum“ hat vom 1. bis 9. Februar als Online-Akademie mit 50 Menschenrechtsexpertinnen und -experten aus der ganzen Welt das Thema „Building Bridges between Local Governments an the Scientific Community to Promote Human Rights“ diskutiert. Das Schlussdokument, das am 9. Februar im Rahmen der prominent besetzten Konferenz „Human Rights go Local: What Works“ verabschiedet wird, betont insbesondere die Rolle der Städte als „Schlüssel-Akteure“ für die Verwirklichung der Menschenrechte, sowie die Notwendigkeit einer institutionalisierten Vernetzung von Wissenschaft, Zivilgesellschaft und Menschenrechtsstädten. Im Austausch mit Gabriela Ramos, der Stellvertretenden UNESCO-Generaldirektorin für Sozial- und Humanwissenschaften, Nada Al-Nashif vom UN-Hochkommissariat für Menschenrechte sowie Michael O’Flaherty, dem Direktor der EU-Grundrechteagentur, sagte Bürgermeister Siegfried Nagl nicht nur seine Unterstützung für diese internationale Netzwerkarbeit zu. Er regte zugleich an, dass es künftig in jedem UN-Mitgliedsland zumindest eine Menschenrechtsstadt geben soll und, dass die Stadt Graz in den kommenden Jahren – wenn solche Treffen wieder möglich sein werden – zu einer internationalen BürgermeisterInnen-Konferenz einladen werde.
Klaus Starl, Direktor des UNESCO-Zentrums in Graz und Veranstalter von Akademie und Konferenz, betont in diesem Zusammenhang, dass die Vereinten Nationen vor allem die Städte der Welt aufgerufen haben „verstärkt den Menschenrechten zu widmen, um widerstandsfähige und inklusive Gesellschaften zu fördern.“
In Grußbotschaften zu diesem Jubiläum spricht Bundespräsident Alexander van der Bellen davon, dass Graz mit dieser „großen Idee“ ein Anwalt für „die Würde aller Menschen und die Grundwerte“ sei, dass Menschenrechtsarbeit aber zugleich ein „Engagement von allen“ notwendig mache, denn es ginge immer auch darum, „Hoffnung in Realität“ umzusetzen.
Kein Lockdown für Menschenrechte
Auch Außenminister Alexander Schallenberg betont in seiner Stellungnahme die Vorreiterrolle von Graz. Gerade die aktuelle Pandemie zeige auch weltweit, dass diese Grundrechte unter Druck geraten sind, doch es kann „keinen Lockdown für die Menschenrechte“ geben. Für den Außenminister steht es auch außer Zweifel, dass die Glaubwürdigkeit der Menschenrechte von der lokalen und regionalen Umsetzung abhängt.
Auch Landeshauptmann Hermann Schützenhöfer, freut sich über die Menschenrechtsaktivitäten der Landeshauptstadt: „Ich bin froh, dass das Trainingszentrum für Menschenrechte gegründet wurde. Mit dieser Akademie und Konferenz werden wichtige Impulse in Sachen Menschenrechte auf lokaler Ebene gesetzt.“ Das Land ist gemeinsam mit der Stadt Graz, dem Bund und der UNESCO Träger des Zentrums.
Alfred Stingl, 2001 Bürgermeister von Graz, erinnert sich daran, dass im Jahr 2000, als die UNO eine „Dekade der Menschenrechtsbildung“ ausgerufen hat, bei einem vom Außenministerium initiierten und der Stadt Graz unterstützten Seminars des „Europäischen Trainingscenters für Menschenrechte und Demokratie (ETC)“ die Idee geboren wurde, Graz könnte sich zur ersten europäischen und weltweit vierten Menschenrechtsstadt erklären. Es war zudem die damalige Außenministerin Benita Ferrero-Waldner, die mit ihrer Rede im September 2000 vor den Vereinten Nationen in New York schließlich den Weg dazu ebnete. Den Antrag wurde von allen Mitgliedsstaaten per Akklamation einstimmig angenommen.
Fünf Kriterien waren und sind, so der frühere Bürgermeister, für Graz als Menschenrechtsstadt maßgeblich
- Möglichst viele öffentliche und private Einrichtungen lassen sich in ihrem Handeln von den Menschenrechten leiten.
- Die Beschlüsse der Stadt sind an den Menschenrechten auszurichten.
- Die Bevölkerung, insbesondere die Verantwortungstragenden und Studierenden sind im Sinne der Menschenrechte zu Multiplikatoren auszubilden.
- Internationaler Erfahrungsaustausch und Vernetzung mit anderen Menschenrechtsstädten sowie den Partnerstädten von Graz.
- Institutionelle Verankerung der Menschenrechte in allen Bereichen des öffentlichen Lebens.
Nach 20 Jahren sei es aber auch wichtig, in die Zukunft zu schauen und die Menschenrechtsstadt Graz weiterzuentwickeln. Alfred Stingl erhofft sich hier vor allem die Umsetzung der seit 15 Jahren immer wieder diskutierten „Menschenrechtsregion Steiermark“. Das UNESCO-Zentrum zur Förderung der Menschenrechte in Gemeinden und Regionen“ werde hier noch mehr als bisher die internationale Bedeutung von Graz als Menschenrechtsstadt festigen. Und, so Stingl abschließend, es müssten künftig die Menschenrechte noch mehr ins Bewusstsein der Bevölkerung gebracht werden.
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